Gene Drives zur Krankheitsbekämpfung Krankheitsbekämpfung bearbeitet

Worum geht es?
Im Fokus der Forschungen mit Gene Drives (GD) stehen Anwendungen im Gesundheitsbereich, insbesondere die Kontrolle von vektorübertragenen Krankheiten, wie beispielsweise Malaria. In der öffentlichen Diskussion erfahren Projekte zur Bekämpfung von Malaria die grösste Aufmerksamkeit. Ähnliche Forschungen laufen jedoch zur Bekämpfung von Viruserkrankungen wie Chikungunya-, Zika-, Dengue- und Westnil-Fieber, die von der Tigermücke übertragen werden. Ausserdem sollen Gene Drives dazu beitragen, Infektionskrankheiten wie die von Zecken übertragene Lyme-Borreliose einzudämmen.
Da diese Seuchen jährlich Hunderttausende von Menschenleben fordern, ist die intensive Suche nach Lösungen, welche die Übertragung dieser Krankheiten reduzieren könnten, verständlich. In die Entwicklung der Technologie fliessen immense Investitionen.
Die Technik ist für die Verbreitung in der freien Wildbahn konzipiert: sie sei schnell, effektiv, und könne im Extremfall ganze Mückenpopulationen ausrotten. So argumentieren die Entwickler, die die Methode als eine Art Wundermittel anpreisen. Doch genau in dieser beschleunigten Weitergabe von Genen liegen auch die Gefahren der Technologie, denn sie erhöht das Risiko anderer, nicht beabsichtigter Wirkungen. Wenn solche in einem komplexen natürlichen Ökosystem auftreten, sind die Folgen nicht abschätzbar und der Einsatz der Gene-Drive-Technik kann eine unaufhaltbare Kettenreaktion auslösen. Bereits bewährte, lokale Lösungen der Krankheitsbekämpfung werden von den technologieaffinen Kreisen ausgeblendet. Der Grund: die Malariabekämpfung ist ein Mittel der Technologie als Ganzes mehr Akzeptanz zu verschaffen. Doch die Agrarindustrie liebäugelt bereits mit dem Einsatz von Gene Drives als eine neue, lukrative Möglichkeit der Schädlingsbekämpfung.
Für eine effektive Malariabekämpfung müssten sozioökonomische Faktoren als eigentliche Ursachen der zahlreichen Erkrankungen angegangen werden. Zudem sind bereits unbedenklichere Lösungen sowie viel lokales Wissen zum Umgang mit der Krankheit vorhanden, die dringend gefördert werden sollten.

Wie bekämpft man Krankheiten mittels Gene Drives?
Gene Drives können dazu eingesetzt werden, die Fruchtbarkeit von krankheitsübertragenden Organismen zu reduzieren, um auf diese Weise eine Population zu dezimieren oder gar zu eliminieren. Mit der Gene-Drive-Methode könnte aber auch die Fähigkeit dieser Lebewesen, Krankheiten zu übertragen, verringert werden.
Getestet werden diese Ansätze aktuell an mindestens 4 Mückenarten. Im Labor wurden bereits erste Erfolge erzielt. Mit den ersten Anträgen für Freisetzungsversuche ist daher in Kürze zu rechnen.

Populationen dezimieren/ausrotten
Die Idee, Schädlinge oder Krankheiten durch die Freilassung veränderter Insekten auszumerzen ist schon älter. Beispielsweise wurden 1997 durch radioaktive Strahlung unfruchtbar gemachte Tsetsefliegen erfolgreich auf der Insel Sansibar eingesetzt, um die Schlafkrankheit zu bekämpfen. Auch die Schraubenwurmfliege, ein gefürchteter Tierparasit in Nordamerika, dessen Larven sich ins Fleisch der Tiere fressen konnten, konnte mittels dieser sogenannten Sterile-Insekten-Technik vielerorts eingedämmt werden. Das Prinzip ist einfach: die sterilen Individuen paaren sich mit Artgenossen, da Nachkommen aber ausbleiben, nimmt die Population langsam ab. Die Technik ist jedoch teuer, langsam und für eine optimale Wirkung müssen grosse Mengen an Insekten gezüchtet und freigelassen werden. Deutlich schneller soll es mit Gene Drives gehen.

Am Imperial College in London wird im Rahmen des Projekts „Target Malaria“ bereits an zwei unterschiedlichen Lösungsansätzen geforscht. Der Geldgeber hinter dem risikoreichen Gene-Drive-Forschungsprojekt namens „Target Malaria“ ist die umstrittene Bill und Melinda Gates Stiftung.

  • Nur noch männliche Nachkommen

    Der erste Lösungsansatz verfolgt die Idee, Mücken so zu verändern, dass sie nur männliche Nachkommen produzieren. Nach wenigen Generationen soll die gesamte Population zusammenbrechen.
    Dazu werden Gensequenzen ins Mückengenom eingebaut, die spezifische Schneideenzyme (Endonuklease) kodieren. Diese treten bei der Spermienbildung in Aktion und machen das für die Bildung des weiblichen Geschlechts verantwortlichen X-Chromosom funktionsunfähig, indem sie bestimmte Stellen ausschneiden.
    Dieser Ansatz wurde bei Laborpopulationen eines wichtigen afrikanischen Malaria-Überträgers (Anopheles gambiae) bereits mit Erfolg getestet. Da aber das Gene-Drive-Konstrukt nicht auf dem Geschlechtschromosom sitzt, wird die gewünschte Veränderung nach den Mendelschen Regeln weitervererbt und somit noch nicht schnell genug in der Population verbreitet. Damit der Mechanismus schneller wirkt, und an alle männlichen Nachkommen weitervererbt wird, versuchen Forscher nun den Gene Drive ins Y-Chromosom einzubauen.

  • Unfruchtbare Weibchen

    Statt das Geschlecht der Nachkommen zu beeinflussen, kann ein Gene Drive auch für eine Dezimierung der Mückenpopulationen sorgen, indem er zu einer Unfruchtbarkeit der weiblichen Mücken führt.
    Dazu schneidet das Gene-Drive-System einen bestimmten Teil eines Gens aus, das für die normale Entwicklung weiblicher Individuen verantwortlich ist. Ein Vorteil dieser am Imperial College entwickelten Methode soll sein, dass es zu keinen Resistenzbildungen gegen den Gene Drive kommt. Denn das veränderte Gen spielt eine lebenswichtige Rolle. Mutationen innerhalb dieser Region würden also fast immer fatale Folgen haben, deswegen variiert der Abschnitt kaum. Die Tatsache, dass das Zielgen wegen seiner Unverzichtbarkeit bei allen Insektenarten in sehr ähnlicher Form vorkommt, stellt jedoch gleichzeitig ein erhöhtes Risiko dar. Denn diese Ähnlichkeit könnte es ermöglichen, dass das Gene-Drive-System auch auf andere Nicht-Ziel-Arten überspringt.

Populationen verändern
Andere, etwas weniger radikale Ansätze zielen nicht darauf ab, die Mücken zu bekämpfen, sondern zu verhindern, dass sie den Krankheitserreger übertragen. So sollen beispielsweise Stechmücken (Anopheles stephensi) gegen die Malaria-Erreger immun gemacht werden.
In diesem Fall soll der Gene Drive die Verbreitung der für die Immunität verantwortlichen Gene in der Population beschleunigen. Das Ziel: die natürlichen Populationen, welche die Krankheit übertragen, durch gentechnisch veränderte Individuen zu ersetzen.
Die Methode funktioniert aber nur begrenzt, da spontan auftretende, zufällige Mutationen im  Bereich des Genoms, in dem der Gene Drive eingefügt wurde, den Mechanismus stören. Als Folge findet die Genschere das einprogrammierte Ziel auf dem Erbmolekül nicht mehr und der Gene Drive funktioniert nicht. Die Mücken werden resistent gegen den Gene Drive und können sich wieder weitervermehren.

Was sind die Gefahren?
Gene Drives sind eine junge Technologie mit potenziell weitgehenden und unumkehrbaren Folgen. Da sie für den Einsatz in der freien Wildbahn konzipiert sind, können sie leicht ausser Kontrolle geraten.
Deshalb ist es wichtig das Vorsorgeprinzip zu stärken und frühzeitig über die möglichen Konsequenzen nachzudenken. Denn einerseits ist die Funktionsweise des zu manipulierenden Zielgenoms noch weitgehend unbekannt, was zu unerwünschten Nebeneffekten führen kann. Andererseits ist das Verhalten der Gene-Drive-Mücken auch wegen der Komplexität natürlicher Ökosysteme unvorhersehbar. Nur Bruchteile der Verbindungen und Zusammenhänge innerhalb dieses Systems sind bekannt. Mit derart begrenztem Wissen ist es schwierig, die möglichen Folgen eines solchen Eingriffs einzuschätzen.
Diese Unsicherheiten und die Grenzen des Wissens stehen einer Freisetzung im Wege. Die Mindestforderung für Feldversuche ist eine detaillierte Risikobeurteilung, sowie die Zustimmung der lokalen Gemeinschaften. Für die Risikobeurteilung sind aber nicht genügend wissenschaftliche Grundlagen vorhanden (Gene Drive Bericht). Aus diesem Grund fordern viele internationale Organisationen ein Moratorium auf die Anwendung von Gene Drives.

Dass die Gefahren der Technologie in keinem Verhältnis zu den erhofften Vorteilen stehen, lässt sich anhand folgender Beispiele zeigen:

  • Auskreuzung auf nicht intendierte Populationen

    Eine der Gefahren der Technologie ist, dass sich Gene Drives ungehemmt auf weitere Nicht-Ziel-Populationen ausbreiten könnten.
    Bei den bisherigen Anwendungen neuer biotechnologischer Verfahren war man darum bemüht, die Ausbreitung von GV-Organismen und die Auskreuzung von gentechnischen Veränderungen auf Wildpopulationen zu verhindern. Im Gegensatz dazu ist bei Gene Drives die Ausbreitung in natürlichen Populationen die erwünschte Wirkung. Dies birgt neuartige Risiken. Denn wie soll man verhindern, dass sich ein Gene Drive auf Populationen überträgt, die nicht Ziel des Gene Drives sind? Davor soll die Entwicklung einer lokal begrenzten, selbstlimitierenden Form des Gene Drives, die nach einigen Generationen nicht mehr weitervererbt wird, schützen. Die Methode bleibt vorerst Theorie. Angesichts der grossen finanziellen Unterstützung seitens der Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums (DARPA) können aber künftig zahlreiche solche Projekte erwartet werden.

  • Auch Mücken spielen eine Rolle – ethische Fragen

    Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Elementen eines Ökosystems sind weitgehend unerforscht. Das vorhandene Wissen genügt jedoch, um zu beweisen, dass die für uns Menschen lästigen Mücken eine wichtige Rolle in der Natur spielen. Für Vögel bedeuten sie eine wichtige Nahrungsquelle, sie können Pflanzen, wie wilde Orchideenarten in den Wäldern Nordamerikas bestäuben und ihre Larven tragen zum Nährstoff-Recycling bei. Im Kelch fleischfressenden Kannenpflanzen treten sie sogar als Schlüsselprädatoren auf.
    Eine Mückenpopulation zu reduzieren oder auszulöschen, vermag also auf den ersten Blick als vernachlässigbar erscheinen. Jedoch können noch so kleine Änderungen im Ökosystem langfristig erheblich auf dessen Entwicklung auswirken. Diese langfristigen Auswirkungen sind unvorhersehbar. Angesichts dessen begegnen Ethiker der Frage, ob die Bekämpfung von Infektionskrankheiten die gezielte Ausrottung ganzer Arten rechtfertige, mit Zurückhaltung.

  • Menschliche Versuchskaninchen in Afrika

    Noch lassen Freisetzungsversuche mit Gene-Drive-Mücken auf sich warten. Die ersten Vorbereitungsschritte wurden jedoch schon unternommen. In Burkina Faso hat das Konsortium Target Malaria im vergangenen Juli Tausende gentechnisch veränderte Mücken freigelassen. Dabei handelte sich zwar noch nicht um Gene-Drive-Exemplare. Mit diesen Vorversuchen soll aber die Akzeptanz für die Gentechnologie erhöht werden. Doch die Versuche stossen auch vor Ort auf erhebliche Bedenken. Die afrikanischen Dörfer fühlen sich als Testgebiet missbraucht: denn die lokale Bevölkerung wurde nicht über die Versuche und die damit verknüpften Risiken aufgeklärt.
    Dass Feldversuche tatsächlich Gefahren bergen, zeigt ein aktuelles Beispiel aus Brasilien. Dort wurden jahrelang GV-Mücken freigesetzt, um lokale Mückenpopulationen zu dezimieren. Theoretisch hätte die gentechnische Veränderung dafür sorgen sollen, dass sämtliche Nachkommen von Weibchen, die sich mit den GV-Männchen paaren, absterben.
    Doch entgegen aller Erwartungen konnte ein Teil der Nachkommen doch überleben. Nun breitet sich die gentechnische Veränderung aus. Es ist unklar, wie diese Veränderungen den Prozess der Krankheitsübertragung beeinflussen. Die Gentech-Mücken könnten sogar robuster sein als ihre wilden Artgenossen und die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit übertragen wird, gar erhöhen.